Das Erstellen von Täterprofilen bei Serienmorden

(letzte Änderung am 18.11.98, Literatur zum Thema "Amok" hinzugefügt)

©Christoph PAULUS, 1998, Universität des Saarlandes,
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Interessenten verweise ich auch auf folgenden Artikel: C. Paulus (1997). Serienmörder: Ursachen und Entwicklung extremer Gewalt.


Inhalt:

Abgrenzung der Begriffe

Übersicht über die in die Analysen eingegangenen Fälle

Tätertypologie

Andere Klassifikationen

Leitfragen

Interessante Links

Abgrenzung der Begriffe

Einfache Morde zeichnen sich dadurch aus, dass in ca. 95% der Fälle der Täter aus dem direkten Umfeld des Opfers stammt. Meist handelt es sich um Taten, deren Motiv erkennbar ist und die in relativ kurzer Zeit aufgeklärt werden können. Serienmorde weisen im Gegensatz zu dieser Art von Verbrechen keine (auf den ersten, ja sogar auf den zweiten Blick) erkennbare Verbindung zwischen Opfer und Täter auf. In der Bezeichnung Serienmörder stecken zwei Kriterien: Es muß sich um Serien-Mörder handeln, d.h. um Täter, die nacheinander an verschiedenen Orten Morde (in der Regel jeweils einen) begehen im Gegensatz zu "Massenmördern", bei denen es sich um Täter handelt, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit mehrere Menschen töten, bsplw. während der NS-Zeit in den Gaskammern der Konzentrationslager. Unter den Begriff Serientäter können alle möglichen Delikte fallen, die mehrmals hintereinander begangen werden können, wie beisplw. Alkohol am Steuer, Scheckbetrug, Banküberfälle, Körperverletzung usw. Was Serienmörder von diesem Fällen unterscheidet, ist offensichtlich. Zum einen handelt es sich bei Mord um die extremste Form der Gewaltanwendung, die nicht nur mit einer entsprechend rigorosen Strafandrohung belegt ist (lebenslängliche Freiheitsstrafe bzw. Todesstrafe) und deshalb von der Polizei besonders intensiv verfolgt wird, sondern auch moralisch sehr negativ bewertet wird. Damit verbindet sich aus psychologischer Sicht aber ein weiteres Phänomen, nämlich das der Hemmung oder Abschreckung. Einen Menschen zu töten, besitzt eine ganz andere Aggressionsqualität als beispielsweise mehrfacher Betrug. Sogar ein einfacher Mord, meistens aus dem Affekt heraus, bleibt noch rational verarbeitbar, bei Serienmorden scheitert aber sogar dies.
Die Serie : Wir betrachten nur Fälle, in denen mehr als ein Mord zu unterschiedlichen Zeitpunkten begangen wurde. Nicht in unsere Überlegungen eingehen werden solche Täter, die bereits nach dem ersten Mord verhaftet und verurteilt wurden, von denen man aber anhand der Umstände der Tat annehmen könnte, daß sie weiter gemordet hätten, wenn sie nicht gefasst worden wären. Dies impliziert aber bereits eine vorhandene Antwort auf das Problem, vor dem wir zu diesem Zeitpunkt noch stehen, ob es denn überhaupt so etwas wie Gemeinsamkeiten oder verallgemeinerbare Eigenschaften von Serientätern gibt, die Prognosen bei Straftätern zulassen. Diese imaginäre Grenze zwischen der normalen Kriminalität und (Serien-)Mord wird eben nur in seltenen Fällen überschritten.
Ein weiteres Kriterium dafür, daß ein Fall Berücksichtigung fand, war, dass der Täter zum Zeitpunkt der Tat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und zurechnungsfähig, also fähig, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, war und dass er keine pathologischen Hirnschädigungen oder sonstige biologisch-medizinische Defekte aufwies.
Holmes & De Burger (1988) definieren die Elemente des Serienmordes so:

Es existieren intrinsische Motivsysteme, die ihren Ursprung in der Persönlichkeit des Täters haben; sie beherrschen und strukturieren das Verhalten des Mörders. Täter mit erkennbaren extrinischen Motivationen wie Gewinnstreben, Streben nach Ansehen usw. werden nicht zur Kategorie der Serienmörder gezählt.

Amok

Ebenfalls nicht zur Gruppe der Serienmörder gehören sog. Amokläufer. Unter Amok versteht man "a state of homicidal rampage that entails the apparently random killing of anyone whohas the misfortune of crossing the amok's man path. Eventually, he is overwhelmed, kills himself,or collapses in exhaustion" (Daly & Wilson, 1988). Das Wort entstammt dem malayischen amuk und bedeutet Wut bzw. wütend . Man bezeichnet damit einen Zustand mörderischer Raserei. Amokläufer sind immer Männer, meist unter 35 Jahre alt, es ist kein Fall einer weiblichen Amokläuferin bekannt. Dieses Phänomen tritt häufig in Südostasien auf, insbesondere Malaysia, Indochina oder Papua-Neuguinea. Es wurde als kulturspezifisches Syndrom angenommen, da bestimmte kulturelle Wertvorstellungen oder Normen verhaltensfördernd sein können. Trotzdem scheint die Eingrenzung auf Südostasien zu eng gefaßt. Als Auslöser der Taten werden häufig Probleme mit Frauen, Gesichtsverlust oder Spielschulden genannt. Der in der Regel schwer bewaffnete Amokläufer befindet sich zum Zeitpunkt seiner Tat(en) in einem nicht ansprechbaren Zustand, der sich erst nach Beendigung des Amoklaufes ändert. Sollte der Täter überleben, so kann er sich meist an nichts mehr erinnern (Daly& Wilson, 1988).
Burton-Bradley (1968), ein Psychiater, der 7 Amokläufer interviewte, beschrieb die Denkweise eines Amokläufers so: "I am not an important or big man'. I possess only my personal sense of dignity. My life has been reduced to nothing by an intolerable insult. Therefore, i have nothing to lose except my life, which is nothing, so I trade my life for youors, as your life is fa- voured. the exchange is ma favour, so I shall not only kill you, but I shall kill many of you, and at the same time rehabilitate myself in the eyes of the group of which I am a member, even though I might be killed in the process." Aus medizinischer Sicht werden Epilepsie, Malaria, Katatonie oder Schizophrenie als Ursachen angenommen (Dorsch, 1982) und Amok als ein Zustand halluzinatorischer Verwirrtheit beschrieben (Pschyrembel, 1992).
Gewisse Ähnlichkeiten zwischen Amokläufern und Serienmörder sind vorhanden: Das Geschlecht der Täter, es gibt mehr als ein Opfer, die Opfer werden zufällig ausgewählt, es besteht keine verwandtschaftliche oder Freundschaftsbeziehung zwischen Täter und Opfer, der Auslöser ist oft eine stark frustierende Situation.
Im Unterschied zu Serienmördern ist der zeitliche Anstand zwischen den Morden jedoch sehr kurz, die Täter handeln in einen exaltierten Geisteszustand, können sich hinterher nicht mehr an die Taten erinnern und versuchen dies auch nicht. Serienmörder behalten oft Andenken an ihre Opfer, um die Tat später nochmals in der Phantasie zu durchleben. Der erste (Serien-)Mord geschieht oft ungeplant, eher aus dem Affekt heraus und nicht mit der Absicht zu töten.

Massenmörder

Beispiele für Massenmörder finden sich auch in der heutigen Zeit:


Tab. 1: Übersicht über die in die Analyse eingegangenen Fälle (Name, verurteilt im Jahr ..., Zahl der Morde):

Mehrere Frauen sind in der obigen Übersicht erwähnt: Myra Hindley, die zusammen mit Ian Brady als die Moormörder bekannt wurden; Nanny Doss, eine fast 50jährige Frau großmütterlichen Typs hatte innerhalb von 15 Jahren mit Arsen zwei ihrer Kinder, ihre Mutter, zwei ihrer Schwestern, einen Neffen, einen Enkel und ihre 5 Ehemänner vergiftet. In den 30er Jahren wurde Belle Gunness unter dem Namen "Lady Blaubart von La Porte" berühmt. Sie ermordete zwischen 14 und 49 Liebhaber bzw. Ehemänner. Martha Beck und Ray Fernandez töteten u.a. 12 Frauen, mit denen Fernandez ein Verhältnis angefangen hatte. Nicht erwähnt ist die Frau des englischen Serienmörders Frederick West , die vermutlich an den Taten beteiligt war, dafür zur Zeit aber noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Diese Beispiele widerlegen die weitverbreitete Meinung, es gäbe keine weiblichen Serienmörder. Der derzeit aktuellste Fall ist Aileen Wuornos, die 7 Männer tötete und dafür 1992 zum Tode verurteilt wurde.

Diese Arbeit erweitert die Stichprobe des FBI, dessen Untersuchungen an Serienmördern ausführlich in RESSLER et al. (1988) dargestellt ist. Deren Ziel bestand darin, to examine them collectively as a subpopulation of murderers and from the law enforcement perspective.

Tätertypologie

Das erste Problem, das sich stellt, ist, mehrere Taten miteinander in Verbindung zu bringen; denn als "Serienmörder" –so die allgemeine Definition des FBI- gilt jemand erst dann, wenn er mindestens 3 Menschen in einem gewissen zeitlichen Abstand getötet hat, ansonsten spricht man von Massenmord (siehe den Fall Timothy Veigh in den USA). Da erfahrungsgemäß lange Zeitabstände zwischen diesen ersten Morden –und insbesondere zwischen der ersten und der zweiten Tat- liegen, bleibt es oft dem Zufall oder der Eingebung der Ermittlungsbeamten überlassen, nach evtl. Verbindungen zwischen nicht aufgeklärten Todesfällen zu suchen.

Zu diesem Zweck hat das amerikanische FBI einen Fragebogen entwickelt, den sog. crime analysis report, in dem alle Informationen über ein Verbrechen erfasst werden und an einer zentralen Stelle gesammelt und bearbeitet werden. Der Report enthält 186 Fragen über allgemeine Angaben über das Verbrechen (crime classification: Mord, versuchter Mord, unindentifizierter Toter, usw.) Informationen über das Opfer (Name, Beschreibung, zuletzt gesehen am ..., Wohnort, Alter, Narben, Tätowierungen, Kleidung usw.), und Informationen über den Täter (sofern bekannt).

Das erste Problem besteht also zunächst darin, Taten miteinander in Beziehung zu setzten und evtl. Gemeinsamkeiten zu erkennen. Erst dann kann als nächster Schritt die Erstellung eines sog. Täterprofils erfolgen.

Aus den Erfahrungen des FBI lassen sich zwei große Gruppen von Serienmördern differenzieren, die sog. planvoll ("organized") und die planlos ("disorganized") vorgehenden Täter.

Systematische planende Täter überfallen meist Fremde, die sie sich vorher aber nach bestimmten Kriterien wie Alter, Aussehen, Frisur oder Beruf ausgesucht haben. Der planlos ("disorganized") vorgehende Mörder trifft keine Auswahl, seine Überfälle sind häufig willkürlich, konkrete Vorstellungen von seinen Opfern hat ein solcher Täter nicht. "Er will gar nicht wissen, wen er vor sich hat und versucht oft, die Persönlichkeit des Opfers vorzeitig auszuschalten, indem er es bewußtlos schlägt, das Gesicht zudeckt oder entstellt" (Ressler et al., 1992).

Die folgenden Tabellen (Original aus Ressler et al., 1988) zeigen Tatorthinweise (Tab.1), anhand derer sich planvolle von planlosen Tätern unterscheiden lassen sowie Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur der Täter (Tab.2):

Tab. 2: Unterschiede am Tatort von planvoll vs. planlos vorgehenden Tätern

planvoll ("organized") vorgehende Täter planlos ("disorganized") vorgehende Täter
Tat ist geplant spontanes Verbrechen
Opfer ist ein ausgesuchter Fremder Opfer oder Umgebung ist bekannt
personalisiert das Opfer versucht, Persönlichkeit des Opfers auszuschalten
Kontrolliert die Konversation kaum Konversation
Tatort zeigt kontrolliertes Verhalten Tatort erscheint durcheinander und unkontrolliert
Täter fordert Unterordnung, Erniedrigung des Opfers plötzliche, schnelle Gewaltanwendung an Opfer
Täter benutzt Zwangsmittel (Fesseln, ...) kaum Zwangsmittel benutzt
aggressives, gewalttätiges Verhalten vor der Tötung des Opfers sexuelle Handlungen nach der Tötung
Leiche versteckt Leiche bleibt offen liegen
Tatwaffe fehlt, benutzt werden Messer, Revolver, Gift Tatwaffe bleibt am Tatort, oft zufällig vorhandene Gegenstände wie Steine, Stöcke, ...
Tatort nicht gleich Fundort der Leiche Tatort gleich Fundort


Auch die Persönlichkeitsbeschreibungen der Täter lassen sich deutlich voneinander unterscheiden:

Tab.3: Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur

planvoll ("organized") vorgehende Täter planlos ("disorganized") vorgehende Täter
hohe Intelligenz durchschnittlich bis niedrige Intelligenz
hohe Sozialkompetenz sozial schwache Verhaltensweisen
regelmäßige Arbeit oft vorhanden schlechte Arbeitslaufbahn
sexuell kompetent sexuell inkompetent
besitzt (sofern vorhanden) jüngere Geschwister ("high birth order status") besitzt (sofern vorhanden) ältere Geschwister ("minimal birth order status")
Vater hat geregelte Arbeit Arbeitsverhältnisse des Vaters unregelmäßig
inkonsistente Kindheitserfahrungen mit Strafen schlechte bis harte Kindheitserfahrungen mit Strafen
Gefühlskontrolle während des Verbrechens vorhanden Ängstlichkeit während des Verbrechens
Alkoholgenuss vor der Tat kaum Alkoholgenuss vor der Tat
Merkmale plötzlichen situativen Stresses kaum situativer Stress
lebt mit Partner zusammen lebt allein
mobil mit Fahrzeug in gutem Zustand lebt oder arbeitet in Tatortnähe, nicht mobil
verfolgt Berichterstattung über Verbrechen in Medien wenig Interesse an Berichterstattung
nach der Tat Jobwechsel oder Umzug möglich kaum Veränderungen im Lebensstil


Diese Klassifikation beschreibt sog. Prototypen; in den meisten Fällen tauchen sowohl am Tatort wie auch in der Täterpersönlichkeit Anzeichen aus beiden Kategorien vermischt auf. Allerdings ist bei der Übertragung dieser Typologie von den amerikanischen auf europäische Verhältnisse Vorsicht geboten, da die sozialen Strukturen in den USA nicht direkt mit denen Europas verglichen werden können. In Europa findet sich überwiegend der Typus des planvollen Täters (Beispiele: "Heidemörder" Thomas Holtz, Jack Unterweger, Horst David, Jürgen Bartsch, ...)

Andere Klassifikationen

Holmes & De Burger (1988) sprechen, ebenso wie viele andere Autoren, von motiviertem Verhalten, ohne eine tatsächlich aus der Motivationsforschung abgeleitete Motivation zu beschreiben. Sie bieten zu Einordnung von Serienmörder 4 verschiedene Typenklassen an: den visionären (visionary type), den missionsorientierten (mission oriented), den hedonistischen (hedonistic) und den macht-kontroll-orientierten Typ (power/control-oriented) Der visionary-Typ des Serienmörders hört Stimmen oder erhält seinen Mordauftrag von Außerirdischen, ist also eindeutig als geisteskrank einzustufen. Beispielhaft für diesen Typ des Täters steht Herbert Mullin. Er tötete, weil er Stimmen hörte, die ihm sagten, daß seine Morde katazyklische Erdbeben verhindern würden und so das Leben von vielen Millionen Menschen in Erdbebenkrisengebieten gerettet werden könnten. Eines seiner Opfer war ein katholischer Priester,dem er seine Taten gebeichtet hatte. Während der Beichte, als das Gespräch auf das Thema ´Gehorsam gegenüber dem Vater' kam, soll ihm der Priester gesagt haben: "Er [der Gehorsam] ist so wichtig, daß ich mich die freiwillig als dein nächstes Opfer zur Verfügung stelle" (Aussage von Herbert Mullin, zit. nach Ressler & Shachtman, 1992). Nach seiner Verurteilung erklärte er, seine Verbechen seien nichts als ein Beitrag zur Rettung der Umwelt gewesen. Im Unterschied dazu setzt sich der mission oriented type des Serienkillers das Ziel seiner Mission selbst. Die potentiellen Zielgruppen (und damit Opfer) zeichnen sich durch irgendein gemeinsames Merkmal aus, sei es Geschlecht, Haarfarbe, Beruf , Alter, Religion usw. Aus der Sicht des Mörders handelt es sich bei ihnen um sozial unerwünschte Individuuen. Als typischer Vertreter dieser Art von Mörder kann Jack the Ripper angesehen werden, der1888 fünf Prostituierte im einem Zeitraum von nur zwei Monaten tötete, bevor die Verbrechen plötzlich aufhörten. Joseph Franklin tötete während seiner "Mission" mehr als 12 junge Schwarze, die alle in Begleitung einer weißen Freundin waren. Der hedonistische Killer ist nur an dem lustvollen Erleben der Tat und dem Thrill interessiert. Für ihn bedeutet jeder Mord das Ausleben von Glücksgefühlen, er ist nur an der Tat als solcher interessiert. Ihn reizt immer wieder das ungestrafte Ausleben seiner Phantasie. Im Gegensatz dazu sucht der machtorientierte (power oriented) Mörder das Gefühl der absoluten Überlegenheit, das er in der situativen Macht über Leben und Tod findet. Die sexuellen Aspekte ihrer Tat sind dabei nur Nebensache, motivationsauslösend ist der Wunsch nach Stärke, nach Beherrschung des Opfers. Damit wird in den meisten Fällen das eigene erlebte schwache Selbstwertgefühl kompensiert und ein Ausgleich gesucht, der die Erfahrung vermittelt: "Ich bin letztlich doch der Stärkere, wenn ich nur will."

Die 4 Phasen eines Verbrechens

Um auf der Basis eines verübten (Serien-)Verbrechens Annahmen über den Täter anstellen zu können, muss eine Vielzahl von (mehr oder weniger versteckten) Hinweisen analysiert werden. Dazu kann man ein Verbrechen i.a. im 4 Phasen einteilen, die bei der Profilerstellung von hinten nach vorne erschlossen werden müssen:

  1. Das Stadium vor der Tat:
    Informationen darüber erhalten die Ermittler naturgemäß erst im Nachhinein. Den wichtigsten Faktor stellt allerdings die Phantasie des Täters dar. Dazu später mehr.
  2. Das eigentliche Verbrechen:
    Dazu zählt insbesondere die Auswahl des Opfers. Hier stellt sich die Frage, welches Risiko das Opfer für den Täter darstellte, ob es leicht ansprechbar war, welchen Widerstand es erwarten ließ, ob es schnell vermißt werden würde, usw. Die Auswahl des Opfers läßt auch Schlüsse auf die "Serie" zu. Sind die Opfer leicht erreichbar mit einer geringen Widerstandswahrscheinlichkeit (im Extremfall Kinder), so kann man davon ausgehen, dass der Täter sich erst am Anfang einer Mordserie befindet. Hinweise darauf liefern auch neben dem Mord selbst die Tatwerkzeuge oder ob eine Verschleppung, Folter oder Vergewaltigung stattgefunden hat. Die Art der Verstümmelung lässt ebenfalls Schlüsse in dieser Beziehung zu, denn erfahrungsgemäß verfeinern Serientäter ihre Taten von Mal zu Mal. Dies hängt mit dem treibenden Phantasien zusammen, die in späteren Phasen der Serie immer verfeinert und ausgereifter werden. Je nach Stadium der Serie liefert auch die Zeitdauer vor und während der Tötung ein Indiz.
    In allen Fällen sind die Opfer potentielle Sexualpartner gleicher Hautfarbe, d.h. bei weiblichen Opfern sollte nach einem Mann u.u. gesucht werden. Allerdings muss darauf geachtet werden, ob das Opfer evtl. homosexuell war und insofern ein gleichgeschlechtlicher Täter in Frage käme. Trotzdem kann man in einer Art Generalisierung davon ausgehen, dass, wenn die Opfer Frauen sind, nur ein Mann als Täter in Frage kommt; sind die Opfer Männer (was deutlich seltener der Fall ist), so können entweder ein homosexueller Mann oder eine homo- oder heterosexuelle Frau als Täter in Frage kommen.
    Hilfreich hierbei kann die Art der Tatwaffe sein: Frauen morden häufiger als Männer mit Schusswaffen (vgl. bsplw. Aileen Wournos) oder Gift (bsplw. Louise Peete), wohingegen Männer meistens Messer, Seile oder stumpfe Schlagwaffen bevorzugen. Auch ist bisher kein Fall bekannt, in dem eine weibliche Serienmörderin (alleine) die Leichen verstümmelt hat.
    Letztlich kann auch die Frage nach fehlenden Dingen am Tatort Hinweise liefern. Serienmorde sind in der Regel keine Raubmorde, d.h. der Mörder hat kein oder kaum Interesse an Wertgegenständen wie Geld, Kreditkarten, Fahrzeugen, Kleidung o.ä. Fehlen hingegen persönliche Dinge wie z.B. Schmuckstücke, Hobbyutensilien (bplsw. Angeln) oder gar Körperteile (Finger, Zehen; nicht allerdings solche, die zum Verschleiern der Tat oder zum Verhindern der Identifizierung des Opfers nötig wären wie Kopf oder Hände), so kann das auf einen Serientäter in fortgeschrittenen Stadium hinweisen. Solche private Dinge benutzen Täter, um später in Ruhe zu Hause oder am Tatort die Emotionen der Tatausführung nochmals zu erleben und in ihrer Phantasie erneut aufleben zu lassen. Dabei werden dann evtl. "Probleme" bei der Ausführung im Geist zu "verbessern" oder verfeinern versucht.
  3. Die Beseitigung der Leiche:
    Wie in Tab.3 dargestellt, kann man planende und planlose Täter u.a. darin unterscheiden, ob sie die Leiche vom Tatort weg transportieren, verstecken oder sonstwie das Auffinden erschweren. Gerade bei Serienmorden wird häufig versucht, die Identifizierung durch Verstümmelungen zu verhindern, indem Kopf und Hände abgetrennt werden. Diese Form der Verstümmelung der Leiche tritt häufig erst bei späteren Phasen der Serie auf, da dazu eine gewisse Abgebrühtheit gehört, sich länger mit der Leiche zu beschäftigen ohne dabei das Risiko einer Entdeckung einzugehen. Im Extremfall werden sogar Körperteile oder andere persönliche Gegenstände des Opfers als Souvenirs aufbewahrt, um später die Tat nochmals in der Phantasie erleben und weiter zu verfeinern.
  4. Das Verhalten nach der Tat:
    Das Nacherleben der Tat geschieht häufig im Form aktiver oder passiver Beteiligung an den Aktivitäten der Polizei, sei es durch Auftauchen am Tatort, durch Sammeln von Presseberichten, das Liefern von Hinweisen in Form von anonymen Anrufen oder Bekennerbriefen. Dies gilt allerdings normalerweise nur für planvoll vorgehende Täter.

Bei der Täterprofilerstellung geht es v.a.D. darum, den Täterkreis einzuschränken. Betrachtet man die oben besonders unter Punkt 2 aufgeführten Erkenntnisse, so kann man durch aus dem Verbrechen oft bestimmte Gruppen der Gesellschaft ausschließen: Ist das Opfer weiblich, so kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ein Mann der Täter sein muss, womit der Kreis der Zielpersonen bereits um 50% reduziert wurde; spricht man von einem "männlichen Erwachsenen, alleinstehend, wohnt in Tatortnähe", so wird der Kreis der Verdächtigen überschaubarer. Ergeben sich nun nach und nach weitere Hinweise, so kann man versuchen, in einer Art Puzzle die Persönlichkeit des Täters immer stärker einzukreisen und so letztlich gute Annahmen über die Zielperson machen.

Trotzdem ist es nach Aussagen von Ressler (1992) nicht möglich, "Polizisten eine Art Checkliste in die Hand zu drücken. Am liebsten wäre es ihnen, sie könnten die Merkmale abhaken, in einen Computer eingeben, auf einen Knopf drücken und schon würde er das ideale Täterprofil ausspucken (...) An Täterprofile sollten erfahrenen Spezialisten, am besten Leute mit Psychologiestudium, herangelassen werden."

Täterprofile werden häufig nach den folgenden Leitfragen erstellt:

Der typische Serienmörder

Der "typische" Serienmörder ist zu Beginn seiner Taten ca. 16-20 Jahre alt, männlich, Einzelgänger, lebt zuhause , i.d.R. ist nur ein (leiblicher) Elternteil im Haus ohne Geschwister, hat soziale Probleme in der Schule oder im sozialen Umfeld. Er hat bereits kriminelle Erfahrungen hinter sich, meistens Brandstiftung oder Tierquälereien, hat aber auch schlechte Erlebnisse wie z.B. sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung am eigenen Leib erfahren. Dazu kommt ein aggressiver, nicht konsequenter Erziehungsstil der Erziehungsberechtigten. Er hat keine feste Freundin und hatte noch keine von beiden Seiten ausgehende positive sexuelle Erfahrung. Er gilt als zurückgezogen, intelligent und charmant. Sein erster Mord geschieht meistens aus Zufall aus einer Stresssituation heraus.

Die Phantasie

"Ihr könnt mir alles nehmen: Meine Familie, meine Freunde, alles, was ich besitze - nicht aber meine Phantasien" (Jeffrey Dahmer).

Viele Serienmörder planen ihre Morde in der Fantasie bis in kleinste Detail. Insbesondere Folgemorde, also Taten, die nach dem ersten Mord begangen wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass der Täter von Mal zu Mal seine Vorgehensweise zunächst in der Fantasie verfeinert, sich auszumalen versucht, wie er seine Taten aus seiner Sicht heraus noch reizvoller machen könnte.
" ... da hab' ich gedacht, wie und was kannste anders machen, wie kannste es noch besser machen, wie kannst du das alles noch ausbauen und so weiter" (Jürgen Bartsch, zit. nach Föster, 1984).
Ed Kemper bezeichnete seine Fantasien als Antriebsfeder seiner Morde und er hatte sie, was Technik und Intensität betrifft, kontinuierlich weiterentwickelt. Dennoch klappte es nie so ganz, wie er es sich vorgenommen hatte. Stets hatte er das Gefühl, er könne es noch besser machen. Ein Mord, so lautete Kempers Schlußfolgerung, konnte nie so gut wie die Fantasie sein. (Ressler & Shachtman, 1993).
Die Planung des Mordes beschränkt sich nicht nur auf dessen Ausführung und Dauer, sondern auch auf den gewünschten Tatort (" in meiner Fantasie war sofort die Höhle da, die Höhle als besonders geeigneter Ort dafür" , J. Bartsch, nach Föster, 1984), die Lage des Opfers nach der Tat, die Vertuschung der Tat usw.
Demgegenüber stehen Serienkiller, die ihre Tat(en) nicht im voraus planen. In diesem Fällen ist der Mord eher spontan, aus einem Impuls heraus. Dies trifft insbesondere für viele Erstmorde zu, die oft noch nicht in der eben beschriebenen Detailplanung unterliegen, sondern häufig als spontane Tat zustande kommen, obwohl die vorbereitenden Gewaltfantasien ebenfalls vorhanden sind. · "Sie keuchte, ich würgte sie, und das brachte mir Erleichterung. Als ich begriff, daß ich sie getötet hatte, stand ich auf, zog mich an und beschloß, mich des Leichnams zu entledigen ." (A. Tschikatilo, zit. nach Krivitch & Olgin, 1992) · "Ich schlug wohl ein paar Mal zu oft zu - danach starb er. Danach ging es mir schlecht, sehr schlecht ich war völlig durcheinander, ich hatte ja nicht die Absicht, das zu tun" (R. Kuklinsky)

Literatur:

Föster, M. (1984): Jürgen Bartsch: Nachruf auf eine "Bestie". Essen: Torso .

Holmes, R.M., & De Burger, J. (1988). Serial murder. Studies in crime, law, and justice, Vol. 2. London: Sage .

Krivitch, M., & Olgin, O. (1992): Der Mann aus der Hölle. München: Heyne.

Ressler, R.K., & Shachtman, T. (1992). Ich jagte Hannibal Lector. Heyne: München

Weiterführende Literatur zum Thema AMOK

Varma,-Vijoy-K.; Sikdar,-Sudip (1994). Die Beziehung zwischen dynamischer und sozialer Psychiatrie in Indien. Dynamische Psychiatrie, 27 (1-2), 67-83

Adler,-L.; Lehmann,-K.; Raeder,-K.; Schuenemann,-K.-F.; Hajak,-G. (1994). Gibt es Praediktoren fuer impulsive, homizidal-suizidale Gewalttaten? Das Gesundheitswesen, 56 (10), 548-552

Adler,-L.; Lehmann,-K.; Raeder,-K.; Schuenemann,-K.-F. (1993). "Amoklaeufer" - kontentanalytische Untersuchung an 196 Pressemitteilungen aus industrialisierten Laendern. Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie, 61 (12), 424-433

Hatta,-S.-Mohamed (1996). A Malay crosscultural worldview and forensic review of amok. Australian-and-New-Zealand-Journal-of-Psychiatry, 30(4), 505-510

Lucas,-Rodney-H.; Barrett,-Robert-J. (1995). Interpreting culture and psychopathology: Primitivist themes in cross-cultural debate. Culture,-Medicine-and-Psychiatry, 19(3), 287-326

Kon,-Yan (1994). Amok. British-Journal-of-Psychiatry, 165(5), 685-689

Adler,-L.; Lehmann,-K.; Raeder,-K.; Schuenemann,-K.-F. "Amoklaeufer"--kontentanalytische Untersuchung an 196 Pressemitteilungen aus industrialisierten Laendern. (1993). Fortschritte-der-Neurologie,-Psychiatrie, 1(12), 424-433

Aneshensel,-Carol-S. (1992). Social stress: Theory and research. Annual-Review-of-Sociology, 18, 15-38

Gaw,-Albert-C.; Bernstein,-Ruth-L.(1992). Classification of amok in DSM-IV. Hospital-and-Community-Psychiatry, 43(8), 789-793

Kua,-Ee-Heok (1991). Amok in nineteenth-century British Malaya history. History-of-Psychiatry. 2(8, Pt 4), 429-436


Einige Links zum Thema: